Von Dietmar Pichler
Die Ukraine wird meist vereinfacht als ein zwischen zwei Sprachen oder zwei Machtblöcken gespaltenes Land dargestellt. Der
patriotisch-ukrainischsprachige, westliche Teil, welcher sich in Richtung Europa orientiert und die östliche Region, mit ihrer traditionell „russophilen“ Bevölkerung.
Das ist nur tendenziell richtig, denn das ukrainische, nach Europa ausgerichtete Identitätsgefühl und das bevorzugte Verwenden der russischen Sprache schließen einander nicht aus. Nur in den
westlichsten Regionen, wie z.B. in Lwiw (Lemberg), spricht die Mehrheit ausschließlich Ukrainisch.
Doch wie steht es um Kiew, der zentral gelegenen Hauptstadt, eine gänzlich ukrainischsprachige Stadt? Auch wenn das Ukrainische derzeit eine folkloristisch-patriotische Renaissance erlebt,
spricht man in Kiew noch immer vorrangig Russisch. Egal ob man die Tür aufhält, oder am Flughafen zur Sicherheitskontrolle gebeten wird, es dominiert „spasibo“ und „pozhalusta“, nur sehr selten
hört man die ukrainischen Äquivalente „djakuju“ oder „bud laska“. Das gilt sogar (je nach regionaler Herkunft) für einige nationalistische Gruppierungen, deren Partizipation an den
Maidanprotesten sehr umstritten war. Diese haben zwar ihre Zelte am Hauptplatz inzwischen abgebrochen, machen aber (aufgrund schlechter Wahlergebnisse) immerhin noch mit Einschüchterungen und
Vandalismus von sich reden.
Kann man also von der Sprache auch
Rückschlüsse auf die politische Präferenz einer Person schließen?
Viele russischsprachige Ukrainer haben die proeuropäische Maidanbewegung
unterstützt. Vielleicht waren auch sie einer der Gründe, dass es glücklicherweise nicht zur umstrittenen Abschaffung von Russisch als zweite Amtssprache kam. Die negative Signalwirkung war mit
der Einbringung der Gesetzesinitiative allerdings bereits erreicht.
Schnell war die Rede vom generellen „Russischverbot“, es sei gar „lebensgefährlich“ Russisch zu sprechen, eine Propagandaente, die
sich leider immer noch hartnäckig hält. Tatsächlich ist der offizielle Status der russischen Sprache besonders im Alltag der postsowjetischen Bürokratie wichtig und muss gewährleistet
werden.
Dabei protestierten am Maidan längst nicht nur russischsprachige Ukrainer, sondern auch Frauen und Männer russischer Herkunft.
Einer dieser ethnischen Russen war Sergei Minin, der schon zu Sowjetzeit aus Russland in die Ukraine emigriert ist. Nachdem er tagelang am Maidan ausgehalten hatte, berichteten sogar die
ukrainischen Medien von ihm, erzählt seine Tochter nicht ohne Stolz.

Welche Positionen vertreten aber nun die Leute im Osten, die der Maidanbewegung kritisch
gegenüberstanden und stark in der russischen Kultur verwurzelt sind? Diese Menschen pauschal als Separatisten zu bezeichnen, wäre eine völlig unzulässige Vereinfachung, dazu gibt es zu viele
heterogene Ansichten.
Noch mehr gilt das für die Option ein defacto Regime nach dem Vorbild Transnistriens zu installieren, eine Variante die noch weniger Befürwortung genießt. Viele würden stattdessen eine Föderalisierung und ein Ende des Zentralismus forcieren.

Ein Großteil der Bevölkerung in der Ostukraine sieht sowohl die Regierung in Kiew, als auch in Moskau kritisch. Das betrifft auch die Einwohner im separatistisch kontrollierten
Donbass, welcher (wie leider oft vergessen wird zu erwähnen) nur einen Teil der gesamten Ostukraine ausmacht.
Da das Konfliktpotential in den derzeitigen Entwicklungen in der Praxis viel mehr die politische Präferenz und nur kaum die ethnischen Eigenschaften einer Person
betrifft, kommt es auch in Familien und Ehen zu unterschiedlichen Standpunkten und hochemotionalen Diskussionen.
Unabhängig von den vielen verschiedenen politischen Meinungen, eint die Ukraine der Wunsch nach Frieden, Stabilität und einem Ende der Korruption.
*Inhaltliche Basis der
Zusammenfassung lieferten mehrere Dutzend persönliche Gespräche im Zeitraum 2012- Ende 2016.
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