30 Jahre Tschernobyl Katastrophe: Borsh trifft Roland Verant zum Interview

Im April 2016 jährt sich die Katastrophe von Tschernobyl zum 30. Mal. Roland Verant erinnert mit seiner Ausstellung „Da war mal ganz viel Leben“ an den wohl bekanntesten Reaktorunfall der bishergigen Menscheitsgeschichte.

Borsh traf den Tschernobylenthusiasten im ukrainischen Restaurant 
Elvira's in Wien.



Wann hast du deine Leidenschaft zum Thema Tschernobyl-Katastrophe entdeckt?

Das muss um 2010 herum gewesen sein, damals war ich beruflich nicht sehr ausgelastet, was mir viel Spielraum für die Internetrecherche bot. Außerdem hatten wir damals eine polnische Kollegin im Büro. Wenn man die Perspektiven von beiden Seiten des eisernen Vorhangs diskutiert, landet man irgendwann zwangsläufig beim Thema Tschernobyl.

Es liegt in meiner Natur, dass ich mich über Dinge, über die ich nur oberflächlich Bescheid weiß und bei Tschernobyl ist das leider bei den meisten Leuten so, intensiver informiere um zumindest die Grundzüge zu erfassen. Bei meinen Recherchen im Internet bin ich auf der Seite einer ukrainischen Motorradfahrerin gelandet, die viele Male in der Sperrzone gewesen sein soll.

Diese Story hat sich zwar als erfunden herausgestellt, aber so erfuhr ich zumindest, dass man grundsätzlich in die Sperrzone reisen kann. Es gehört nicht zum Allgemeinwissen, dass dort viele Gebäude leer stehen und man sich da viel anschauen kann.

Und wie kam es dann zur ersten Reise?

Ich habe dann, ganz banal, 2011 auf Wikitravel, gleich die erste Agentur kontaktiert, ein Engländer, der ausschließlich außergewöhnliche Reiseziele anbietet. Zwischenzeitlich hatte sich allerdings die Ukraine entschlossen, die Sperrzone zu schließen, also konnte ich die Reise zuerst nicht antreten. Erst 2012 ging es dann endlich los, der Reiseveranstalter gab grünes Licht, nachdem die Sperrzone wieder geöffnet wurde. Ursprünglich hätten mich Freunde begleiten sollen, was aus unterschiedlichen Gründen nicht zustande kam, also habe ich mich alleine einer Reisegruppe angeschlossen, zu einer 2-tägigen Tour.
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Bei einer Art Standardtour, wo wir in Kleinbussen von einem Ort zum nächsten gekarrt wurden, musste man sich penibel an die Vorgaben halten und konnte keine Gebäude besichtigen. Obwohl es aufregend war, all das erstmals vor Ort zu sehen, merkte ich rasch, dass mein Interesse nicht befriedigt war und ich wiederkommen muss. Ich hatte das Gefühl, dass ich praktisch noch nichts gesehen hatte.
Trotzdem veranstaltete ich einen Fotoabend wo ich meine Freunde mit rund 800 Bildern von „bröckelnden Fassaden“ genervt habe. Ein Wunder, dass noch so viele zum zweiten Fotoabend kamen. Das war die erste Reise, bei der zweiten kannte ich dann schon entsprechende Leute und hatte bereits die Möglichkeit die eine oder andere Regel ein wenig zu umgehen.


Welches Erlebnis vor Ort hat dich nachhaltig beeindruckt?

Da gibt es viele, wirklich beeindruckend war zum Beispiel das Gespräch mit einer Wiederansiedlerin, welche nach wie vor in der Zone lebt. Mit über 80 Jahren führt sie einen Hof, pflegt ihre behinderte Schwester und legt trotzdem ein unglaublich optimistisches Lebensgefühl an den Tag. Wenn man als „professionell-semideprimierter“ Mitteleuropäer mit so einem Schicksal konfrontiert wird, kommt man nachhaltig ins Grübeln und viele „Problemchen“ relativieren sich.

Am gleichen Tag habe ich noch ein Gespräch mit einem Feuerwehrmann in Tschernobyl führen können, der normalerweise umgerechnet 160,- Euro im Monat
verdient. Aufgrund der Krise hat aber die Regierung beschlossen, die Hälfte seines Lohns auf unbestimmte Zeit einzubehalten, zwar mit der Zusicherung, dass er das Geld irgendwann bekommt, aber derzeit de facto mit 80 Euro pro Monat eine 5 köpfige Familie durchbringen muss. Er hat dann auch meinen Mitreisenden um seine restlichen Zigaretten angebettelt, welche wir ihm logischerweise auch überlassen haben. Am nächsten Tag bin ich zurück nach Wien geflogen, wo ich von einer Kollegin im Büro gehört habe, dass „ihr Leben Scheiße ist“, weil ihre 150 Euro Jeans die falsche Länge hat, so etwas rückt einem schon ein bisschen die Prioritäten zurecht. Das sind Dinge, über die ich im Nachhinein lange nachdenken musste.

Mein erster Besuch bei Duga, einem riesiger Radarempfänger aus Sowjetzeiten ist mir auch in intensiver Erinnerung geblieben. Wenn man unter diesem Relikt des kalten Krieges steht, fühlt man sich einfach nur winzig und der Gedanke, dass dieses Ding nur gebaut wurde, weil die Menschen damals soviel Angst voreinander hatten, ist extrem beeindruckend.

Ich bin 1980 geboren und erinnere mich noch gut an ein Erlebnis, als ich 7 Jahre alt war und mir mein Lehrer erzählt hat, dass wir eigentlich nur deshalb noch am Leben sind, weil wenn jemand als erster den Knopf drücken würde, es das Ende für alle bedeuten würde. Ein unglaublich schreckliches Stück Information für mich, als kleines Kind. Generell hat die längst deaktivierte Duga-Anlage nichts mit dem Tschernobyl-Unglück direkt zu tun, sie liegt nur in der Gegend, weshalb es sich anbietet, ihr einen Besuch abzustatten.

Wie wird in der derzeit schwierigen Lage der Ukraine die Sicherheit der Reaktorzone gewährleistet?

Diese wird schlicht und ergreifend von der Miliz bewacht. Es gibt seit Jahren politische Diskussionen in der Ukraine, die 30 Kilometerzone zu öffnen, damit bliebe nur die unbestrittene 10 Kilometerzone ums Kraftwerk. Wie angesprochen, eine eigene Einheit der Miliz bewacht nicht nur die Grenzposten, sondern patroulliert auch regelmäßig innerhalb der Sperrzone. Speziell im Umkreis des Kraftwerks befinden sich eine hohe Menge an Überwachungskameras etc., ich glaube nicht, dass sich hier der Sicherheitsstandard verändert hat.

Wie hoch schätzt du den Wissensstand der österreichischen Bevölkerung zum Thema Tschernobylkatastrophe ein?

Praktisch inexistent. Ich glaube der Wissensstand in der 08/15 Bevölkerung endet irgendwo knapp nach „Bumm“, das merke ich auch an den Fragen, die mir im Zuge der kommenden Ausstellung gestellt werden. Allerdings wundert mich das auch nicht wirklich, bei einer Recherche in der Nationalbibliothek habe ich per Mikrofilm alte einheimische Zeitungsberichte studiert, der Informationsgehalt war zum Haare raufen.

Das Problem ist, die Auswirkungen der Radioaktivität und der globale Impact lassen sich in absoluten Zahlen nicht messen. Deshalb existieren auch viele unseriöse Geschichten, die leider oft nicht hinterfragt werden und es war auch für mich am Anfang nicht leicht, verlässliche Quellen zu finden. Außerdem ist das ein Thema, mit dem sich die Leute wohl auch nicht immer intensiv beschäftigen wollen. Das Phänomen kann man auch bei Fukushima oder in Bezug auf die Explosion 1957, dem Kyschtym-Unfall in Russland beobachten.

Welche Ratschläge hast du für Leute die selber eine Reise in die Sperrzone wagen wollen?

Regel Nr. 1: Einen seriösen Anbieter finden! Es gibt eine Reihe von Agenturen, die offizielle Reisen in die Zone anbieten, mit allen benötigten Genehmigungen. Trotzdem findet man immer wieder „windige Anbieter“, die 5000,- Euro oder vergleichbare Mondpreise verlangen und dabei ein „besonderes Erlebnis“ versprechen. Man sollte im Vorfeld recherchieren, mit welchen Anbietern gute Erfahrungen vorliegen, da gibt es ausreichende Informationen im Netz.

Ein weiterer Tipp wäre vielleicht, dass man nicht viel Angst haben sollte. Man kann ohnehin nur mit Genehmigung und lizenziertem Führer in die Zone. Dieser weiß wo die strahlungskritischen Stellen sind und führt den Besucher dort auch nicht hin. Bei einer normalen Tourismustour wird man nicht an gefährliche Stellen geführt und bekommt auch Verhaltensregeln mitgeteilt um die Strahlenbelastung zu minimieren. Beispiele sind deckende Kleidung anziehen, keine kurzen Hosen oder offene Schuhe tragen, nicht an der frischen Luft rauchen, möglichst nichts anfassen etc.
Eine besonders interessante Regel, die ich gelesen habe: „Keine Waggons oder andere Metallgegenstände ablecken“. Als ich meine Führerin nach dem Auslöser für diese Regel fragte, erzählte sie mir, dass tatsächlich ein Amerikaner einen Waggon am Bahnhof ablecken wollte, mit der Begründung, dass er gehört habe, Radioaktivität solle einen metallischen Geschmack haben.

Es macht auf jeden Fall Sinn, sich im Vorfeld intensiv einzulesen, ich habe mich selbst nach meiner ersten Reise sehr geärgert, wenn ich versteckt im Hintergrund meiner Fotos Dinge entdeckt habe, die sich für mich erst im Nachhinein als interessant herausgestellt haben.

Ein ganz besonders wichtiger Punkt ist, dass man für die Zeit die man in der Zone verbringt, unbedingt den Führer als Chef akzeptiert. Es gibt eine Masse an Regelungen, manchmal nicht ganz nachvollziehbar, diese sind aber unbedingt ohne Ausnahme einzuhalten. Die Ukrainer verstehen diesbezüglich überhaupt keinen Spaß und es drohen bei Missachtung massive Probleme, bis zu langjährigen Gefängnisstrafen. Teilweise sind beispielsweise noch alte Spionagegesetze in Kraft, die das Fotografieren gewisser Gebäude oder Teilen von Gebäuden verbieten. Es gilt hier unbedingt den Anweisungen des Führers Folge zu leisten, es ist besser so.

Ein weiterer Tipp wäre, möglichst bald zu fahren. 2012 war meine erste Reise, man merkt im Laufe der Jahre, wie der Verfall fortschreitet. Ich tippe darauf, dass in 5 bis maximal 10 Jahren in Prypjat wahrscheinlich nichts mehr stehen wird und es dann auch einfach nichts mehr zu sehen gibt. Es wäre schade, wenn man sich nun zuviel Zeit lässt für eine unglaublich beeindruckende, extrem lehrreiche Reise, wo man sehr viele Sachen erfährt, die man vielleicht nicht im Geschichtsunterricht gehört hat. Nächstes Jahr, sofern die Pläne halten, soll auch eine neue Schutzhülle über dem Katastrophenreaktor angebracht werden, dieser wäre dann auch nicht mehr zu sehen. Wer hin und hergerissen ist, sollte besser jetzt fahren als in zwei Wochen. 

Verant: "Ich tippe darauf, dass in 5 bis maximal 10 Jahren in Prypjat wahrscheinlich nichts mehr stehen wird und es dann auch einfach nichts mehr zu sehen gibt.  Wer hin und hergerissen ist, sollte besser jetzt fahren als in zwei Wochen." Foto: F. Thür
Verant: "Ich tippe darauf, dass in 5 bis maximal 10 Jahren in Prypjat wahrscheinlich nichts mehr stehen wird und es dann auch einfach nichts mehr zu sehen gibt. Wer hin und hergerissen ist, sollte besser jetzt fahren als in zwei Wochen." Foto: F. Thür

 

Was erwartet die Besucher deiner Ausstellung?

Ein ziemlicher Overkill. Ich muss dazu sagen, es ist meine erste Ausstellung. Ich habe mit den Vorbereitungen begonnen, ohne großartig zu wissen, welche Menge an Materialen man eigentlich braucht. Der Plan war, einen möglichst umfassenden Überblick über die Sperrzone, das Unglück, den gesamten Ablauf etc. zu bieten.
Es ist sehr viel Bild- und Textmaterial vor Ort, man kann sich daher auch länger einlesen.

Ich gehe nicht davon aus, dass jeder alle Schautafeln durchlesen und auswendig lernen wird, manche Leute wird vielleicht mehr die technische Seite interessieren, andere wieder die soziale Seite. Wir haben darauf geachtet, für alle Interessensgebiete ausreichend Material bereitzustellen. Ansonsten sind es hauptsächlich meine Bilder die ausgestellt werden, die auch käuflich erwerbbar sind.

Meine Bedingung war, die Veranstaltung nicht als klassische Fotoausstellung anzulegen, weil es meiner Meinung nach bei diesem Thema nicht möglich ist. Deshalb soll es nicht nur eine Ausstellung meiner Fotos werden, sondern den Besucher umfassend informieren, über das Unglück an sich und seine Auswirkungen.
Ich werde auch selbst in den Öffnungszeiten definitiv immer vor Ort sein, das würde mir wahrscheinlich sonst auch keine Ruhe lassen.


Die Veranstaltung findet im Kammgarnzentrum, in Bad Vöslau (Niederösterreich) - von 23. April bis 1. Mai statt: Eintritt: 5 Euro

Link zur Veranstaltung

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